Der dritte International Legal Linguistics Workshop fand am 12.12.2020 statt. Dieser wurde von der Österreichischen Vereinigung für Rechtslinguistik organissiert.
An dieser spannenden Veranstaltung nahm ich mit dem Thema "How has the Corona outbreak impacted legislative drafting in Europe?" teil.
Mein Abstract dazu:
„Bald wird jeder von uns jemanden kennen, der an Corona gestorben ist“, „100.000 Tote“, „Lebensgefährder“ und „Lebensretter“, das sind die Worte, mit denen die Bevölkerung auf den harten Regierungskurs vorbereitet wurde.[1] Diesen Worten ist prima facie freilich schwer entgegenzutreten, denn wer ist denn nicht dafür Menschenleben zu retten. Doch was wird hier eigentlich suggeriert? Welche Argumentationslinie wird hier verfolgt und wie ist es um die rechtliche Einordnung dieser Argumentation bestellt?
Dogmatisch muss angemerkt werden, dass der Staat nicht nur verpflichtet ist Grundrechtseingriffe so weit wie möglich zu unterlassen, ihn treffen auch aktive Pflichten die Grundrechte seiner Bürger zu schützen.[2] Es kann daher allenfalls sogar geboten sein, dass der Staat in bestimmten Situationen Grundrechte zu Gunsten von anderen Rechtsgütern einschränkt. Diese Eingriffe müssen aber gerechtfertigt und verhältnismäßig sein.
In Notsituationen gilt es oftmals schnell zu handeln. Rechtlicher Formalismus wird in Krisenzeiten daher zumeist weitgehend vermieden und an die Stelle rechtlicher Verfahren mit einhergehenden Begutachtungen Stellungnahmen und Interessenausgleichen treten bloße „Maßnahmen“.[3] Das heißt aber nicht, dass diese Maßnahmen in einem rechtsfreien Raum schweben und keiner rechtlichen Prüfung zugänglich sind.[4] Ferner kann sich die Prüfung der Rechtmäßigkeit jedenfalls nicht bloß auf einen werthierarchischen Vergleich der einzelnen Grundrechte untereinander beschränken, bei welchem ohnedies schon klar ist welches Recht das andere aussticht.
Grundrechte können nicht gegeneinander abgetauscht und Maßnahmen nicht plakativ mit dem Titel „Leben zu retten“ gerechtfertigt werden. Vielmehr muss der Staat klar definierte Ziele einer Zweck-Mittel-Relation im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterziehen. Dem Grundsatz „Der Zweck heiligt die Mittel“ ist damit grundrechtsdogmatisch eine klare Absage zu erteilen.
Der Vortrag soll die Handlungsmöglichkeiten und Schutzpflichten des Staates im Kontext einer Grundrechtsbetrachtung näher beleuchten.
[1] Tóth, Was passiert, wenn es eng wird?, FALTER vom 12.05.2020.
[2] Eberhard, Recht auf Leben, in Heißl (Hrsg), Handbuch Menschenrechte (2008) 85.
[3] Jabloner, „Die Form ist die Zwillingsschwester der Freiheit“, in HKI 35: Methodenreinheit und Erkenntnisvielfalt.
[4] Bußjäger/Gamper, Verfassungskonformität einer verpflichtenden Tracing-App, 6.4.2020, www.foederalismus.at/blog/stellungnahme-zur-verfassungskonformitaet-einer-verpflichtenden-tracking-app_230.php (abgerufen am 19.10.2020).